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Gute Texte haben einen guten Satzbau

Wie ein guter Text aussieht, darüber lässt sich streiten. Der eigene Geschmack spielt bei der Beurteilung eine große Rolle und je nach Vorliebe achtet man mehr auf Wortwahl, Schreibstil oder Inhalt. Unterschätzt wird der Satzbau, also die Art und Weise, wie Worte zusammengefügt sind. Dabei hängt der erste Eindruck oft vom Satzbau ab.

EXKURS: Verständlichkeit
Zunächst ein kurzer Ausflug in die Linguistik, genauer gesagt: in die Psycholinguistik. Denn diese beschäftigt sich mit der Verständlichkeit und Lesbarkeit von Texten. Oberste Regel für gute und verständliche Texte: Wörter und Sätze sollten nicht zu lang sein, die Satzkonstruktion nicht zu komplex und die Worte nicht zu ungewöhnlich.

Vor allem Satzlänge und Satzkonstruktion beeinflussen die Verständlichkeit von Texten. Gute, verständliche Sätze haben eine Länge von etwa 10 bis 15 Wörtern. Natürlich können es auch mal zwei, drei oder vier Wörter mehr oder weniger sein. Doch ein gut lesbarer, verständlicher Text sollte eher kurze Sätze haben.

Daneben gibt es noch weitere Faktoren, die zur Lesbarkeit und Verständlichkeit beitragen. Der sogenannte Lesbarkeitsindex berücksichtigt mehrere dieser Faktoren. Auf einigen Websites kann man die Lesbarkeit der eigenen Texte überprüfen, beispielsweise auf www.wortliga.de.

Erzählende Texte – Belletristik

Sachtexte sollten lesbar und verständlich sein. Doch wie sieht es mit der Belletristik aus, also mit erzählenden Texten? Auch von einer Geschichte erwarte ich, dass sie verständlich ist und sich gut liest. Doch Verständlichkeit steht nicht an erster Stelle. Bei belletristischen Texten kann man Satzlänge und Satzbau nutzen, um bestimmte Effekte zu erzielen.

Satzlänge

Sätze mit etwa 15 Wörtern unterlaufen meist unseren Radar, das heißt, sie fallen beim Lesen nicht weiter auf. Sind sie verständlich und flüssig zu lesen, bleiben sie unauffällig. Dann achtet man beim Lesen weniger auf den Satz und mehr auf den Inhalt. Also genau das, was viele AutorInnen erreichen wollen: Nicht die Sprache steht im Vordergrund, sondern die Geschichte.

Deutliche kürzere Sätze fallen aus dem üblichen Raster und erhalten mehr Aufmerksamkeit. Da es nur ein paar Worte sind, kann man sie problemlos verstehen. Die Aufmerksamkeit gilt also weniger der Sprache, mehr dem Inhalt. Diesen Effekt kann man beim Schreiben nutzen: Ich verwende kurze Sätze, um dem Inhalt mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Patrick Süskind

Der Duft war so himmlisch gut, daß Baldini schlagartig das Wasser in die Augen trat. Er brauchte keine Probe zu nehmen, er stand nur am Werktisch vor der Mischflasche und atmete. Das Parfum war herrlich. Er war im Vergleich zu ‚Amor und Psyche‘ wie eine Sinfonie im Vergleich zum einsamen Gekratze einer Geige. Und es war mehr.

Patrick Süskind: Das Parfüm. Die Geschichte eines Mörders. Diogenes Taschenbuch, 1994, S. 111.

Die beiden Sätze „Das Parfum war herrlich.“ – „Und es war mehr.“ sind besonders kurz. Dadurch fallen sie auf und bleiben den LeserInnen länger im Gedächtnis. In diesen beiden Sätzen steckt die wichtigste Information dieser Szene – kein Zufall also, dass genau diese beiden Sätze so kurz sind.

Satzbau

Lange Sätze haben 20 Wörter und mehr. Möchte ich lange, verständliche Sätze formulieren, dann brauche ich einen guten Satzbau. Denn bei deutlich mehr als 15 Wörtern pro Satz steigt das Risiko, dass der Satzbau den Lesefluss hemmt. Lange, komplizierte Sätze mit mehreren Einschüben sind schwerer zu verstehen. Ist der Satzbau kompliziert, bleiben die LeserInnen an der Sprache hängen. Sie brauchen einen Moment länger, um den Satz zu erfassen. Oder noch schlimmer: Sie müssen ihn zweimal oder sogar häufiger lesen. Das bringt jeden Text zur Strecke.

Verträge, Allgemeine Geschäftsbedingungen oder Gesetzestexte sind schwer zu verstehen. Das liegt zum einen an ihrem komplexen Inhalt. Doch gerade diese Texte sind oft mit langen Schachtelsätzen formuliert. Das macht es nicht leichter: Schwierige Inhalte stecken in komplizierten Satzungetümen. Das versteht kein Mensch auf Anhieb.

Auch belletristische Texte mit langen, komplizierten Sätzen machen keine Freude. Komplexe Satzkonstruktionen brauchen mehr Aufmerksamkeit, um sie zu verstehen. Dadurch verliert eine Geschichte ihren Schwung, das Lesen ist mühsam.

Dabei ist nicht die Satzlänge entscheidend. Lange Sätze mit vielen Wörtern können kompliziert und schwierig sein. Aber sie müssen es nicht. Es gibt lange Sätze, die leicht zu lesen und gut zu verstehen sind. Der Satzbau macht den Unterschied.

Patrick Süskind

Während Baldini noch mit seinen Kerzenleuchtern auf dem Tisch hantierte, schlüpfte Grenouille schon in das seitliche Dunkel der Werkstatt, wo die Regale mit den kostbaren Essenzen, Ölen und Tinkturen standen, und griff sich, der sicheren Witterung seiner Nase folgend, die benötigten Fläschchen von den Borden.

Patrick Süskind: Das Parfüm. Die Geschichte eines Mörders. Diogenes Taschenbuch, 1994, S. 102.

Ein wundervoller langer Satz und problemlos zu verstehen. Denn er hat einen leicht verständlichen Satzbau, der zu keinem Zeitpunkt Informationen schuldig bleibt.

Während Baldini noch mit seinen Kerzenleuchtern auf dem Tisch hantierte, (…)
Am Ende dieses Teilsatzes fehlt mir keine Information, um zu verstehen, was erzählt wird.

(…) schlüpfte Grenouille schon in das seitliche Dunkel der Werkstatt, (…)
Ebenso.

(…) wo die Regale mit den kostbaren Essenzen, Ölen und Tinkturen standen, (…)
Ebenso.

(…) und griff sich,(…)
Das ist der einzige Teil des Satzes, der bis zum Komma nicht abgeschlossen ist – ich muss weiterlesen, um die noch fehlende Information zu erhalten, damit ich dem Inhalt folgen kann. Das heißt, ich erfahre an dieser Stelle nicht, was sich Grimaldi griff. Vorher muss ich noch einen anderen Teilsatz lesen.

(…) der sicheren Witterung seiner Nase folgend, (…)
Der Satz ist ein Einschub, in sich verständlich. Da er kurz ist, kann ich schnell weiterlesen, um den noch halb offenen Satz zu verstehen.

(…) und griff sich,(…) die benötigten Fläschchen von den Borden.
Damit ist die noch fehlende Information nachgeliefert. Der Satz ist lang, aber leicht verständlich.

Satzbau beeinflusst die Verständlichkeit

Ein Satz ist schwerer zu verstehen, wenn eine Information offen bleibt. Steht am Anfang des Satzes nur ein Teil der Information, muss ich weiterlesen, um die fehlende Information zu bekommen, damit ich den Satzanfang verstehen kann. Das sind Sätze, an denen ich hängenbleibe. Sind sie sehr lang, muss ich womöglich an den Satzanfang zurücklesen, um die Information am Anfang des Satzes und die Information am Ende des Satzes zusammenzubringen.

Thomas Mann

Die Konsulin Buddenbrook, neben ihrer Schwiegermutter auf dem geradlinigen, weiß lackierten und mit einem goldenen Löwenkopf verzierten Sofa, dessen Polster hellgelb überzogen waren, warf einen Blick auf ihren Gatten, der in einem Armsessel bei ihr saß, und kam ihrer kleinen Tochter zu Hilfe, die der Großvater am Fenster auf den Knien hielt.

Thomas Mann, Buddenbrooks, Verfall einer Familie. S. Fischer Verlag 1909, S. 6.

Dieser Satz ist nicht viel länger als der Satz von Patrick Süskind. Mit seinen 52 Wörtern ist er auch durchaus noch überschaubar. Es gibt weit längere Sätze. Und dennoch – er veranschaulicht, wie der Satzbau die Verständlichkeit beeinflusst.

Die Konsulin Buddenbrook, (…)
Der erste Teilsatz ist beendet und ich weiß nun, dass es sich um die Konsulin handelt. Doch es fehlen mir wichtige Informationen, um diesen Teilsatz verstehen zu können.

(…) neben ihrer Schwiegermutter auf dem geradlinigen, weiß lackierten und mit einem goldenen Löwenkopf verzierten Sofa, (…)
Das Komma nach „geradlinig“ ist eine Aufzählung, es trennt in diesem Fall keinen Teilsatz ab. Aufzählungen nehmen kaum Einfluss auf die Verständlichkeit, da mein Gehirn sich keine „schwebenden“ Informationen merken muss, um am Ende das Ganze zu verstehen.

Der Abschnitt von „neben ihrer Schwiegermutter“ bis „verzierten Sofa“ ist ein Teilsatz. Er teilt mir mit, wo die Konsulin sich gerade befindet. Aber noch immer ahne ich nicht, worum es eigentlich geht – es fehlt also nach wie vor die wichtigste Information, um den Anfang des Satzes verstehen zu können – was ist mit der Konsulin auf dem Sofa?

(…) dessen Polster hellgelb überzogen waren, (…)
Dieser Teilsatz beschreibt das Sofa näher, verrät aber immer noch nicht, worum es eigentlich geht.

(…) warf einen Blick auf ihren Gatten, (…)
Endlich kommt die eigentliche Information – könnte man hier denken. Das Gehirn muss sich bis zu dieser Stelle alles vom Anfang des Satzes merken, um den Rest des Satzes interpretieren zu können.

(…) der in einem Armsessel bei ihr saß, (…)
Dieser Teilsatz beschreibt den Gatten näher.

(…) und kam ihrer kleinen Tochter zu Hilfe, (…)
Nun muss ich mich an den Rest des Satzes erinnern – diesen Teilsatz kann ich nur interpretieren, wenn ich noch weiß, was am Anfang und was in der Mitte des Satzes stand.

Die Konsulin Buddenbrook (…) warf einen Blick auf ihren Gatten (…) und kam ihrer kleinen Tochter zu Hilfe, (…).
Das ist die eigentliche Information in diesem Satz. Ich muss bis zu dieser Stelle lesen, damit mein Gehirn alle Einzelteile der Information zusammenfügen kann, damit ich den Satz verstehe. Im Anschluss folgt noch eine weitere Information:

(…) die der Großvater am Fenster auf den Knien hielt.
Das ist eine Information zur Tochter und bringt keine weiteren Informationen zur Konsulin.

Beide Sätze, der von Patrik Süskind und auch der von Thomas Mann, lesen sich gut und sind gut verständlich. Beide sind nahezu gleich lang, sie haben rund 50 Wörter. Und dennoch: Liest man Süskinds Satz, so ist er ein klein wenig schneller und besser verständlich als der Satz von Thomas Mann. Einziger Grund: der Satzbau. Je länger es dauert, bis unser Gehirn die wichtigsten Informationen eines Satzes erhält und zusammenbringen kann, desto schwerer verständlich ist der Satz.

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Von der Idee zum Roman

Lange, schwer verständliche Sätze

Die Jagst, ein munteres kleines Flüsschen, beginnend in den Weiten der Schwäbischen Alb, wenig später die Höhen herabschwingend, mäandernd durch die Landschaften der Ostalb, zwischen Gräsern und Bäumen munter hindurchplätschernd, keinen Schwung verlierend und unaufhaltsam strömend, mit glänzender Oberfläche und glasklaren Tiefen, so manches Städtchen streifend, so manchen Dorfplatz in zwei Teile trennend, nimmermüde, sei es im Winter, sei es im Sommer, hat bis heute kaum von ihrer Ursprünglichkeit verloren.

Eigenkreation ;-)

70 Wörter. Ein ziemlich langer Satz also. Lese ich den Beginn „Die Jagst“ so wird mein Gehirn auf eine harte Probe gestellt – es muss sich den Satzanfang merken, bis ganz am Ende nachgeliefert wird, worum es eigentlich geht: „(…) hat bis heute kaum von ihrer Ursprünglichkeit verloren.“
Der Satz braucht viel Aufmerksamkeit. Solche Konstruktionen machen einen Text schwer verständlich. Handelt es sich außerdem um einen komplexen Inhalt, habe ich als Leserin kaum eine Chance, den Satz auf Anhieb zu verstehen.

Solche Sätze nehmen einem belletristischen Text den Schwung. Sie hemmen den Lesefluss. Je komplexer der Satzbau, desto mehr Aufmerksamkeit braucht der Satz, desto mehr stolpert man beim Lesen über die Sprache. Als Autorin muss ich mich fragen, ob das meiner Geschichte dient. Ob mein Text dadurch besser wird oder womöglich schlechter. Profitiert meine Geschichte nicht davon, lohnt es sich, die Sätze anders zu formulieren.

Die Jagst hat bis heute kaum von ihrer Ursprünglichkeit verloren. Sie ist ein munteres kleines Flüsschen, beginnend in den Weiten der Schwäbischen Alb, wenig später die Höhen herabschwingend, mäandernd durch die Landschaften der Ostalb, zwischen Gräsern und Bäumen munter hindurchplätschernd, keinen Schwung verlierend und unaufhaltsam strömend, mit glänzender Oberfläche und glasklaren Tiefen, so manches Städtchen streifend, so manchen Dorfplatz in zwei Teile trennend, nimmermüde, sei es im Winter, sei es im Sommer.

Eine kleine Umstellung macht aus dem schwer verständlichen Satzungetüm zwei Sätze, denen man beim Lesen leicht folgen kann, ohne auf Inhalte oder auf Formulierungen verzichten zu müssen.

Lange Sätze funktionieren am besten:

  • wenn „WER oder WAS“ und „WORUM geht es“ nicht weit auseinander stehen
  • wenn es Aufzählungen gibt
  • wenn es nur wenig Einschübe / Teilsätze gibt
  • wenn der Satz in den Rhythmus des Textes passt
  • wenn er sich mit kurzen und mittelkurzen Sätzen abwechselt

5 Kommentare zu „Gute Texte haben einen guten Satzbau“

  1. Hallo Frau Dr. Huesmann,

    könnten Sie bitte den Unterschied zwischen “Satzbau” und “Satzkonstruktion” erläutern? Vielen Dank im Voraus.

    1. Die Schreibtrainerin

      Hallo Chris,

      Satzbau ist der allgemeine Begriff, der z.B. an Schulen verwendet wird. Satzkonstruktion ist der Begriff aus der Linguistik. Aber beide Begriffe meinen das Gleiche: Wie Sätze aufgebaut sind, welche Glieder, welche Teilsätze usw.

      Herzliche Grüße
      Anette Huesmann

  2. Bedeutet das nicht im Endeffekt, daß Autoren ihre Texte so formulieren sollten, daß sie auch von Legasthenikern gelesen werden können ? Wenn ein Leser wirklich Gefallen an einem Buch findet, läßt er sich auch nicht von Schachtelsätzen abschrecken !
    Apropos abschrecken : wie sieht es denn mit übertrieben detaillierten Beschreibungen aus ? Sollte man die auch vermeiden ? Gibt es hier zu diesem Thema auch Anleitungen ?

    1. Die Schreibtrainerin

      Hallo Herr Kirsch,

      Sie fragen: “Bedeutet das nicht im Endeffekt, daß Autoren ihre Texte so formulieren sollten, daß sie auch von Legasthenikern gelesen werden können?”

      Ich möchte flüssige und gut zu lesende Texte schreiben, die weder abgehackt wirken (durch zu kurze Sätze), noch schwer verständlich sind (durch zu lange Sätze). Schachtelsätze lenken vom Inhalt ab, weil sie die Aufmerksamkeit auf die Sprache lenken (und das nicht im positiven Sinne). Ich möchte die Sprache und auch die Satzlänge so verwenden, dass sie den Inhalt und die Atmosphäre unterstützen, die im Text geschildert wird.

      Übertrieben detailliert sind für mich die Beschreibungen dann, wenn sie nichts zur Geschichte beitragen. Man sollte also alles vermeiden, was die Aufmerksamkeit auf Dinge lenkt, die nicht dem Fortgang der Geschichte dienen. Und natürlich ist das sehr subjektiv – ich muss also immer wieder neu für mich entscheiden, was jetzt gerade der Geschichte dient und was nicht.

      Viel Erfolg!
      Anette Huesmann

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