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Wie viel Pädagogik vertragen eigentlich Kinderbücher?

In der Google-Suche werden regelmäßig Stichworte eingegeben wie „pädagogisch wertvolle Kinderbücher“. Eltern, Angehörige und mit Kindern arbeitende Berufsgruppen sind immer auf der Suche nach Büchern, die Kindern bestimmte Botschaften vermitteln. Fragt sich nur, wie pädagogisch wertvolle Bücher bei Kindern ankommen.

Zielgruppen von Kinderbüchern

Kinderbücher haben immer zwei Zielgruppen: Zum einen sind es natürlich die Kinder. Bücher, die Kinder nicht mögen, haben kaum eine Chance. Aber auch Eltern, Angehörige und entsprechende Berufsgruppen sind eine Zielgruppe für Kinderbücher. Denn was von diesen nicht gekauft wird, kommt bei den Kindern nicht an.

Gerade die Eltern wünschen sich oft, dass ihre Kinder etwas aus den Büchern lernen. Sei es, wie sie mit Emotionen umgehen, was gute Freundschaften ausmacht und dass es kein Problem ist, anders zu sein als viele andere.

Kinder wiederum wünschen sich gute Geschichten. Gut erzählte und illustrierte Kinderbücher mit interessanten Figuren und abwechslungsreichen Geschichten stehen hoch im Kurs. Denn Kinder entscheiden selber, was sie immer wieder vorgelesen haben möchten und welche Bücher sie gern aus dem Regal nehmen.

Am erfolgreichsten, so sollte man meinen, müssten eigentlich Kinderbücher sein, die den Interessen von Kindern und Eltern gleichermaßen entgegenkommen: Die lebendig und abwechslungsreich eine gute Geschichte erzählen und so ganz nebenbei eine wichtige Botschaft vermitteln.

Irgendwie doch anders

Doch wenn ich mich so bei den Kinderbüchern umsehe, dann gibt es da eine Menge Bücher, die irgendwie vorrangig das eine oder das andere erfüllen und trotzdem erfolgreich sind. Um mich weiter der Frage zu nähern, wie viel Pädagogik vertragen eigentlich Kinderbücher, habe ich mich vor allem bei den Bestsellern umgeschaut, die sich schon seit Jahren gut verkaufen. Und ich habe mich gefragt: Warum ist dieses Buch erfolgreich? Pädagogisch wertvoll? Interessante und abwechslungsreiche Geschichte? Oder beides? Was ist wichtiger, um gut anzukommen bei Eltern und Kindern: die Geschichte oder die Botschaft?

Das Kinderbuch begeistert Kinder und Eltern gleichermaßen

Axel Scheffler (Illustrator), Julia Donaldson (Text), Monika Osberghaus (Übersetzerin)

Der Grüffelo

Bilderbuch für Kinder ab 2 Jahren
Beltz & Gelberg 1999

Der Grüffelo erzählt die Geschichte einer Maus, die nicht nur ihre Fraßfeinde durch ein selbst erfundenes Monster in die Flucht jagt, sondern am Ende dem Monster begegnet – dem Grüffelo – und auch diesen durch List in die Flucht jagt. Der Grüffelo ist eine sehr überraschende Geschichte, abwechslungsreich und gut erzählt mit anschaulichen Illustrationen. So ganz nebenbei vermittelt die Geschichte die pädagogische Botschaft, dass es nicht auf die Größe ankommt, sondern auf Mut und Einfallsreichtum.

Ein Kinderbuch, das vor allem Kinder begeistert, Eltern oft weniger

Werner Holzwarth (Autor), Wolf Erlbruch (Illustrator)

Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat.

Bilderbuch für Kinder ab 2 Jahren
Peter Hammer Verlag 1989

In diesem Kinderbuch landet eines Tages auf dem Kopf eines Maulwurfs ein Häufchen eines anderen Tieres. Der Maulwurf will herausfinden, von wem die übelriechende Hinterlassenschaft stammt und fragt nun ein Tier nach dem anderen. Eine wirklich witzige Geschichte mit schönen Bildern. Kinder lieben das Buch! Eltern oft weniger, da sie dieses Thema gerne mal ausklammern. Kinder lernen viel über Form und Art von tierischen Exkrementen. In so mancher Rezension zu diesem Buch ist zu lesen, dass es die pädagogische Botschaft transportiert, sich gegen Ungerechtigkeiten zur Wehr zu setzen. Doch am Ende dieser Geschichte wird klar, dass der Maulwurf den Verursacher dieses Häufchens vor allem finden möchte, um sich an ihm zu rächen. Rache zu üben als pädagogische Botschaft scheint mir persönlich nicht sehr wertvoll zu sein. Dennoch ist der kleine Maulwurf eine überaus witzige und gut erzählte Geschichte, die schon viele Kinder begeistern konnte.

Ein Kinderbuch, das von Eltern und Kindern geliebt wird

Sabine Städing (Autorin), Sabine Büchner (Illustratorin)

Petronella Apfelmus
Verhext und festgeklebt

Vorlesebuch für Kinder ab 4 Jahren
Boje 2014

In dieser Kinderbuchreihe freundet sich die Apfelhexe Petronella Apfelmus mit zwei Nachbarskindern an, den Zwillingen Lea und Luis, und erlebt mit ihnen viele Abenteuer. Eine fantasievolle Geschichte, witzig und lebendig erzählt, mit viel Liebe zur Natur. So ganz nebenbei wird die pädagogische Botschaft vermittelt, dass es sich am Ende immer auszahlt, das Richtige zu tun. Dabei stehen die abenteuerlichen Geschichten und das Erleben der Figuren immer im Vordergrund.

Dieses Buch begeistert so manche Eltern, Kinder nicht unbedingt

Peter Schössow (Autor)

Gehört das so??!
Die Geschichte von Elvis

Bilderbuch für Kinder ab 3 Jahren
Carl Hanser Verlag 2005

Das Bilderbuch erzählt von einem sehr wütenden und traurigen kleinen Mädchen, dessen Kanarienvogel namens Elvis gerade gestorben ist. Die Geschichte ist sehr ungewöhnlich erzählt und mit computergenerierten Illustrationen bebildert. Die pädagogische Botschaft liegt auf der Hand, da Kinder dazu angeregt werden, sich Gedanken über den Tod und das Sterben zu machen. Spätestens auf der Doppelseite, die zeigt, wie der kleine gelbe Vogel im Himmel auf Elvis Presley trifft, fragt man sich, ob diese Geschichte sich wirklich an Kinder richtet.

Das Buch begeistert seit Jahrzehnten vor allem Kinder und auch Eltern, die das Buch in ihrer eigenen Kindheit geliebt haben

Astrid Lindgren (Autorin), Katrin Engelking (Illustratorin), Cäcilie Heinig (Übersetzerin)

Pippi Langstrumpf

Friedrich Oetinger Verlag 2020 (Drei Bücher in einem Band)
Text aus dem Jahr 1945 / 1946 / 1948

Ein Mädchen mit außergewöhnlichen Kräften und einem ausgeprägten Selbstbewusstsein lebt allein in einem Haus mit seinem Affen und seinem Pferd. Pippi erlebt in mehreren Bänden zusammen mit ihren Freunden Annika und Tommy eine Menge Abenteuer. Eine tolle Geschichte, die schon viele Generationen begeistern konnte. Auch dieses Buch vermittelt die pädagogische Botschaft so ganz nebenbei, aber unmissverständlich: Kümmere dich nicht um Konventionen, sei stark und selbstbewusst. Bis heute lieben viele Kinder Pippi und ihre Geschichten, bei denen nicht die pädagogische Botschaft im Vordergrund steht, sondern die Figuren und ihre Abenteuer.

Wie viel Pädagogik vertragen denn nun Kinderbücher?

Viele angehende Kinderbuch-Autor*innen möchten gern ein Kinderbuch schreiben mit einer wichtigen pädagogischen Botschaft. Ich denke, eine richtig gute Geschichte verträgt eine ganze Menge Pädagogik. Doch dabei sollte immer die Geschichte im Vordergrund stehen, nicht ihre Botschaft. Ein Kinderbuch muss vor allem durch eine lebendige und abwechslungsreiche Geschichte und interessante Figuren punkten, dann kann es Kinder und oft auch deren Eltern begeistern. Eine pädagogische Botschaft ist nicht zwingend. Es gibt auch viele tolle Kinderbücher, die in erster Linie einfach eine gute Geschichte erzählen.

Natürlich ist meine Meinung sehr subjektiv. Das sehen Sie / das siehst du anders? Ich freue mich über weitere Meinungen in den Kommentaren!

5 Kommentare zu „Wie viel Pädagogik vertragen eigentlich Kinderbücher?“

  1. Danke für dieses Thema, denn es ist eines, das mich (als gelernte Erzieherin, Musikerin und Autorin) immer wieder beschäftigt. Und Danke, liebe Elisabeth Meier, für Ihren Kommentar dazu. Er spricht mir aus der Seele. Klar kann man Kindern Bücher vorlesen, bei denen sie etwas “lernen” sollen. Aber mal ehrlich: wollen wir Erwachsene denn auch immer (nur) Bücher lesen, die uns etwas vermitteln? Ich denke: Nein! Wenn mich ein bestimmtes Thema interessiert, suche ich mir bewusst ein Buch dazu aus und lese es. Aber wenn ich unterhalten werden will, dann möchte ich einfach nur eine spannende und gut erzählte Geschichte haben. Punkt! Mich hat es als Erzieherin zunehmend mehr gestört, dass Bücher, die den Kindern vorgelesen wurden (was eh schon immer seltener der Fall war), dann immer irgendwie pädagogisch wertvoll sein mussten. Viele davon waren dann aber einfach nur stinklangweilig. Meine Güte, die Kinder werden doch früh genug in ein Lern-Korsett gezwängt, wo genau vorgeschrieben wird, was sie wann und wie zu lernen haben. Soll dann auch noch eine so wundervolle Beschäftigung wie das (Vor-)Lesen immer eine “Lektion” beinhalten? Gott bewahre. Lasst ihnen doch einfach den Spaß an spannenden Geschichten mit mit wunderbaren, gerne auch schrägen Persönlichkeiten, denn das fördert meiner Meinung nach das Lesen viel eher als von Eltern/Lehrern ausgewählte “Pflichtlektüren”, womöglich noch mit erhobenem Zeigefinger. Nein! Bitte nicht! Nur die Freude an guten Geschichten kann Kinder nachhaltig zum Lesen bringen und ihre Fantasie anregen. Das ist es, was meiner Meinung nach zählt. Wenn dann – so ganz nebenbei – noch etwas Wertvolles vermittelt wird, dann ist das toll, aber es sollte nicht an erster Stelle stehen. Dafür gibt es schließlich Sachbücher.

  2. Ich glaube, dass Kinderbücher mit Spielsachen zu vergleichen sind.
    Ein Kind greift zB lieber und immer wieder zum abgewetzten alten, aber tröstlichen Teddybären und nicht zur sündteuren pädagogisch ausgeklügelten Puppe. Daher meine ich, eine gute Kindergeschichte muss Charakter haben. Kinder als auch Erwachsene müssen mit den Figuren in der Geschichte mitfiebern können. Bei oft gelesenen Kinderbüchern freut man sich schon auf bestimmte spannende Phasen oder gruselt sich richtig schön. Mir ist das als Kind zumindest so ergangen.

  3. Liebe Annette Heumann,
    ehrlich gesagt fand ich bereits als Kind die Bücher langweilig, in denen ich am Beispiel der Protagonisten irgendwas lernen sollte. Das durchschauen Kinder schnell und sobald die Botschaft klar ist, wird die Geschichte langweilig, weil man das Ende erahnen kann.
    Das ging mir damals so mit den beliebten Geschichten von Hanni und Nanni u. ä.
    Dort war das Erzählmusster stets gleich und man hatte so ein Buch in zwei Stunden ausgelesen – also ich jedenfalls. Die Originalausgaben (damals 5 Bände in England) erschienen von 1941 bis 1945 – zeitgleich zu Pippi und Kalle Blomquist – und was für ein Unterschied!

    Bei Pippi kann man nichts vorhersehen und noch beeindruckender finde ich Kalle Blomquist, denn diese drei Bände handeln von Schwerverbrechen und sind damit echte Krimis für Kinder:
    Zuerst geht es um drei Juwelendiebe, die offenbar auch töten würden, wenn es notwendig wäre. In Band 2 dann der Mord an einem Bewohner der Stadt, den die Kinder kurz vorher noch gesehen hatten und schließlich in Band 3 die Kindesentführung.
    Diese Kriminalfälle für Kinder zwischen 10 und 12 zu schreiben, sodass diese das Buch nicht mehr aus der Hand legen können, ist für mich ganz große Erzählkunst. (erschienen 1946, 1951 und 1953). Wissenswert ist dabei, dass Astrid Lindgren zu dieser Zeit als Assistentin für einen Krimiautoren gearbeitet haben soll. Sie hat wohl seine diktierten Geschichten für ihn zu Papier gebracht – und dabei offensichtlich viel gelernt. :))

    Aus meiner Sicht lieber Bücher ohne Pädagogik und stattdessen mit einer spannenden Geschichte, die man gern öfter liest.

    Herzliche Grüße
    Elisabeth Meier

  4. Meine Kollegin in der Buchhandlung legte grossen Wert auf pädagogisch wichtige Kinderbücher. Bis sie selbst Mutter wurde. Ihre Tochter liebte am meisten das Reime-Buch: “Schweinchen schlachten, Würstchen machen, quiek, quiek, quiek”. Das erzählte sie mir damals fassungslos.

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